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Mai 2019

 

26. Mai 2019 |

Absurdes Theater und brausende Klänge

Zwei großartige Konzerte im Rahmen des Hamburger Musikfestes: "Le Grand Macabre" von György Ligeti und die Orgelkonzert-Matinee mit Iveta Apkalna

 

Die Szenerie von oben (Foto: Peter Hundert) 

Was für ein virtuoses Spektakel! "Le Grand Macabre", diese abgefahrene Oper von György Ligeti (1923-2006) an drei Abenden (10., 12. und 13. Mai) im Großen Saal der Elbphilharmonie! Dabei war die Skepsis groß: Würde es  gelingen, dieses revueartige Musiktheater, das bisher ausschließlich auf Guckkasten-Bühnen gezeigt wurde, im Weinberg-Ambiente der Elbphilhamonie zu positionieren?

Heidi Melton als Mescalina (Foto: Peter Hundert) 

Um es vorwegzunehmen: Es gelang phantastisch! Endlich nutzte die Regie die Möglichkeiten des Saales genussvoll aus, die Sänger – vor allem der Chor wanderte von Stockwerk zu Stockwerk, zeigte sich – ebenso wie einige der Sänger*innen – mal hier, mal da oder auch in der ganzen Runde – Dolby-Surround-Feeling galore! 

Anthony Roth Costanzo als Fürst Go-Go (Foto: Peter Hundert) 

Diese Oper ist Spaß pur, mit ihrer absurden Handlung und den überzeichneten Figuren:

  • der betrunkene Weinschmecker Piet vom Fass (!)
  • der "personifizierte Tod" Nekrotzar (der den bevorstehenden Weltuntergang durch einen Kometeneinschlag verkündet)
  • das schräge Liebespaar Amando (eine Hosenrolle für Mezzosopran) und Amanda, die – wenn es nach Ligeti gegangen wäre – eigentlich "Klitora" und Spermando" geheißen hätten ... 
  • den Hofastrologen und Messie Astradamors und seine füllige, liebestolle Gattin Mescalina (Mescalin war die Modedroge der 1930er Jahre), beide dem Sado-Maso verfallen 
  • der infantile Fürst Go-Go, Herrscher über Breughelland (!), besetzt mit einem Countertenor 
  • die zwei Minister, die ihn nach Strich und Faden tyrannisieren, Vertretern der schwarzen und weißen Partei 
  • der Chef der Geheimen Politischen Polizei Gepopo, eine Hosenrolle für Sopran mit atemberaubenden Kieksern und abgründigen Melodiebögen.

Werner van Mechelen als Nekrotzar (Foto: Peter Hundert)

Schon daran wird deutlich, was für eine Groteske sich Ligeti hier ausgedacht hat, die in bester Tradition der Karneval- und Lachkultur alles auf den Kopf stellt. 

Audrey Luna als Chef der Gepopo (Foto: Peter Hundert)

Alan Gilbert, der künftige Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie-Orchesters, führte die Musiker mit sicherer Hand durch die Untiefen der schwierigen Partitur – und hatte auch die Sänger immer im Blick, während Doug Fitch, der für Regie, Szenografie und Projektionen verantwortlich zeichnete, als eine Art Souffleur fungierte. Das war Teamwork at its best und einfach ein Genuss auf der ganzen Linie. 

Und dann noch einmal Ligeti: bei der Orgelkonzert-Matinee mit Iveta Apkalna (Foto links) am 26. Mai. Hier standen aber nicht die sonst üblichen Barock-Werke für Orgel auf dem Programm, sondern noch einmal Ligeti, umrahmt von weiteren Komponisten des 20. Jahrhunderts: Lionel Rogg (geb. 1936), Sofia Gubaidulina (geb. 1931) – die beim Musikfest 2020 im Zentrum stehen wird, Bronius Kutavicius (geb. 1932) und Airvars Kalejs (geb. 1951), beide feste Größen im Musikleben Lettlands, von wo auch die Titularorganistin selbst stammt. 

Iveta Apkalna versteht es, den 4.765 Pfeifen dieser Orgel, "die alles kann" (wie sie selbst sagt), ebenso berückend leise wie brausend laute Töne zu entlocken – so dass dieses Instrument, das sich fast über die ganze Höhe des Großen Saales erstreckt (Foto rechts) ganz neu und einzigartig erfahrbar wird. Die Zuhörer*innen baden förmlich im Klang – er wird nicht nur hör-, sondern auch fühlbar. 

Die Pfeifen der Orgel verbergen sich teilweise hinter dem Spitzenvorhang der durchbrochenen "weißen Haut". 

In der kommenden Saison bietet sich noch einmal eine sehr besondere Gelegenheit, das Volumen und die Möglichkeiten der Klais-Orgel zu erfahren: Dann nämlich, wenn Kevin Bowyer am 15. September im Rahmen eines Sonderkonzerts die achtstündige (!) Orgelsinfonie Nr. 2 von Kaikhosru Sorabji spielen wird – er ist einer der wenigen, dieses Mammutkonzert überhaupt auf die Bühne bringen können. Karten dafür sind ab dem 20. Juni unter www.elbphilharmonie.de erhältlich.