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FrolleinDoktor meint

FrolleinDoktors Gesundheitstipp

FrolleinDoktor rüscht sich auf

Sie sind hier: FrolleinDoktor - das Blog

Anregende Lektüre ohne Risiken, aber mit Nebenwirkungen. Rezeptfrei in Ihrem Internet. Machense sich doch schon mal frei.

Das ist die Fortsetzung meines Blogs, das ich Anfang 2020 mit Beginn der Corona-Krise weitgehend eingestellt habe – vor allem aus technischen Gründen, die Software lief nicht mehr zuverlässig. Seit Frühjahr 2023 hat es seinen Schlaf endlich beendet und erwacht hier zu neuer Schönheit. Die einzelnen Rubriken sind noch nicht alle wieder befüllt, das wird sich aber mit der Zeit ändern. Kommentare sind auf dieser Seite nicht möglich – wer etwas anmerken will, schickt mir einfach eine E-Mail. Respektvolle Mails beantworte ich gerne – ich achte andere Meinungen und setze mich gern damit auseinander. Pöbelige Schmährufe wandern jedoch sofort in den Papierkorb. Der Name "FrolleinDoktor" ist ein satirisch gemeinter Spitzname und stellt keinen Doktortitel oder medizinischen Status dar. 

 

Die befreite Tochter

Das Kind eines berühmten Vaters zu sein, kann eine ziemliche Bürde sein. Und es lässt sich nur ahnen, was es bedeutet haben muss, die Tochter von Sigmund Freud zu sein. Jetzt hat sich der Tiefenpsychologe und Autor Tom Saller des Themas angenommen und einen Roman geschrieben. Darin unterstellt er Anna Freud, die nie geheiratet hat und mit der Kinderpsychoanalytikerin Dorothy Tiffany Burlingham (Tochter des Glaskünstlers und Juweliers Louis Comfort Tiffany) zusammenlebte, ein frühes Verhältnis mit einem kriegsversehrten Mann, das jedoch keine Zukunft hat, auch weil sie selbst im Rahmen einer Lernanalyse bei ihrem Vater undercover an der Behandlung des Mannes beteiligt war.

Jahre später, 1938, muss Sigmund Freud mit seiner Familie vor den Nazis fliehen, und hier spielt eben dieser ehemalige Soldat mit Namen Stadlober eine Schlüsselrolle – ist er doch inzwischen SS-Führer und Erster Vizebürgermeister der Stadt. Anna Freud verfügt über die Unterlagen, die ihn gerade in dieser Funktion kompromittieren und seine Karriere kosten könnten – die Aufzeichnungen ihres Vaters und auch ihre eigenen über seine Behandlung. Sie sind das Faustpfand, das dazu führt, dass die gesamte Familie Freud nach London ausreisen kann. Anna Freud befreit sich im Laufe ihrer eigenen beruflichen und privaten Entwicklung von ihrem Vater – auch das schildert dieser Roman. 

Das ist alles zweifellos sehr unterhaltsam und spannend aufgeschrieben. Und natürlich steht es einem Schriftsteller zu, sich fiktive Ereignisse und Begegnungen auszudenken, um einen bestimmten Sachverhalt oder die Entwicklung seiner Figuren glaubhaft zu machen. Ein Roman ist ein Roman ist ein Roman ... Zwischendurch beschleicht einen aber als Leserin auch das seltsame Gefühl, dass sich da ein Mann (der Autor) in vielleicht doch nicht ganz zulässiger Weise einer Frau (Anna Freud) bemächtigt, zwar durchaus wohlwollend-liebevoll, aber eben doch in einer übergriffigen Art und Weise. Man fragt sich auch, warum es einer solchen Konstruktion bedarf, um die genannten Themen zu bearbeiten. Und so bleibt bei allem Respekt für die schriftstellerische Virtuosität ein etwas schaler Nachgeschmack. 

Und noch eine Anmerkung am Rande: Dass der Verlag nicht in der Lage ist, eine sorgfältige Rechtschreibkorrektur zu veranlassen und die unsäglich unsinnigen Trennungen auszumerzen (z.B. Stad-lober, Stadlo-ber ...), ist mal wieder ein Zeichen für die heute leider weitverbreitete Schlampigkeit im Lektorat. 

 

Tom Saller: Ich bin Anna. 
Roman, 256 Seiten
Kanon Verlag 
24 Euro

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Nie den Mut verlieren

Michelle Bastien-Archer mit ihren beiden Kindern Paul und Kaylea Scott. (c) Across Nations
Hin und wieder kann Michelle mit ihrem Mann telefonieren – er muss dafür ein R-Gespräch aus dem Knast heraus beantragen, das natürlich mitgehört und aufgezeichnet wird. (c) Across Nations
Das Tor zum Sing-Sing-Gefängnis in der Nähe von New York. In großen Abständen können die Frauen mit ihren Männern ein Wochenende in einem Wohnwagen verbringen – kostbare Zeit der Zweisamkeit unter strikt beschränkten Bedingungen. (c) Across Nations
Michelle beteiligt sich an Protestmärschen gegen das marode Justizsystem und an den Demonstrationen von "Black Lives Matter". (c) Across Nations
Das zermürbende stundenlange Warten auf einen Anruf aus dem Gefängnis, während der Antrag auf Haftentlassung auf Bewährung verhandelt wird. (c) Across Nations
Der letzte "Junggesellinnen-Abschied", den Frauen von inhaftierten Männern feiern, wenn diese entlassen werden. Michelle ist die letzte unter ihren Freundinnen, die dieses Glück erlebt. (c) Across Nations

Es ist kein Geheimnis, dass in den USA viele Menschen, vor allem Schwarze, zu Unrecht im Gefängnis sitzen – oder zumindest keinen fairen Prozess bekommen. "Black Lives Matter" war nicht ohne Grund eine Antwort auch auf diesen Missstand. Jetzt kommt ein Dokumentarfilm in die Kinos, der sich mit diesem Thema beschäftigt. Über fast zehn Jahre hinweg hat Regisseurin Nele Dehnenkamp Michelle Bastien-Archer begleitet, deren Mann Jermaine Archer eine 22-jährige Haftstrafe in berüchtigtem Sing-Sing-Gefängnis in der Nähe von New York verbüßt. Ein Mord wurde ihm angelastet, aber es gibt massive Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Urteils. Die Beweislage war mehr als dürftig, und in der Zwischenzeit sind neue Beweisstücke aufgetaucht, die weitere Zweifel an seiner Schuld nähren und das Urteil in Frage stellen. 

"For the time being" beschreibt ebenso spannend wie bewegend, wie es sich anfühlt, einem Mann in dieser Situation nicht nur die Treue zu halten und eine Beziehung über kurze R-Gespräche und die wenigen Wochenend-Besuche in vom Gefängnis gestellten Wohnwagen zu pflegen, sondern auch nie den Mut zu verlieren, dass Jermaine vielleicht doch auf Bewährung vorzeitig entlassen wird. 

Die Regisseurin Nele Dehnenkamp sagt zu den Beweggründen für diesen Film, der in enger Zusammenarbeit mit Michelle Bastien-Archer entstanden ist: "Im Rahmen meines Soziologie-Studiums habe ich einen längeren Auslandsaufenthalt in den USA absolviert. Die Thematik der 'Masseninhaftierung' war damals sehr präsent in der öffentlichen Debatte. Man beschäftigte sich damit, wie durch Strafen und Gefängnisse die Ungleichheit in der Gesellschaft aufrechterhalten wird. Doch diese Diskussion hatte vor allem eine männliche Perspektive. Mich interessierte: Was macht es mit den zurückgebliebenen Frauen? Wie erleben Frauen und ihre Kinder die Haftstrafe ihres Partners und Vaters? Als ich dann als Gaststudentin ein Uni-Seminar zum Dokumentarfilm besuchte, war die Idee für den Film geboren." Der Film ist nun ihr Abschlussfilm im Rahmen ihres Regie-Studiums an der Filmakademie Baden-Württemberg. 

Und Michelle Bastien-Archer ergänzt aus ihrer Sicht: "Ich wollte auf das Schicksal von Frauen wie mir aufmerksam machen. Mir ist es wichtig zu zeigen, wie eine Haftstrafe das Leben der betroffenen Familien beeinflusst. Einen inhaftierten Partner zu haben, ist eine große Belastung. Und die wenigsten Menschen wissen das. Im Gegenteil: Sie haben Vorurteile gegenüber Frauen, die mit einem Mann im Gefängnis zusammen sind. Mit diesem Vorurteil wollte ich aufräumen." 

In Deutschland wird der Film u.a. auch in einzelnen Justizvollzugsanstalten gezeigt werden, um mit Betroffenen ins Gespräch zu kommen. Ebenso wurde ein Bildungspaket erstellt, das auch im Schulbereich eingesetzt werden kann. 

Wenn man an diesem Film etwas kritisieren kann, dann höchstens das, dass man relativ wenig über die Fakten erfährt, die zur Verurteilung von Jermaine geführt haben. Inzwischen, so viel wird im Presseheft mitgeteilt, wurde die Bewährung aufgehoben und er ist wieder ein freier Mann, der sich auch beruflich für eine Reform des Justizsystems einsetzt. Er und Michelle arbeiten weiterhin daran, seine Unschuld zu beweisen. Das letzte Wort dazu ist noch nicht gesprochen. 

 

For the time being
90 Minuten, Englisch mit deutschen Untertiteln 
Buch, Regie, Montage, Bildgestaltung: Nele Dehnenkamp
Produktion: Nele Dehnenkamp, Christine Duttlinger
www.forthetimebeing.de

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Die Weisheit langen Lebens

Fünf Frauen, fünfhundert Jahre Leben.
Die indische Yogalehrerin V. Nanammal
V. Nanammal unterrichtete täglich 100 Schülerinnen und Schüler in der Kunst des Yoga.
Die Diplomatin Tamar Eshel baute den Staat Israel mit auf und ermöglichte unzähligen europäischen Juden die Einreise nach Palästina.
Tamar Eshel erhielt für ihre Arbeit hohe Auszeichnungen des Staates Israel und war u.a. Beraterin des Bürgermeisters von Jerusalem.
Nermin Abadan Unat lehrte viele Jahre an der Universität in Istanbul und ist eine glühende Anhängerin von Kemal Atatürk.
Die Schriftstellerin Inge Helbich begann im Alter von 57 Jahren nach ihrer Scheidung noch einmal ein ganz neues Leben.
Haydée Arteaga Rojas war in Kuba eine weithin bekannte Erzählerin.

Seit 7. März ist ein Film in den Kinos, der einen das Staunen lehren kann. Er dokumentiert fünf hundertjährige Frauen aus Kuba, Israel, Österreich, Indien und der Türkei. Sie haben ganz unterschiedliche Leben gelebt und doch vieles gemeinsam. Vor allem den Glauben an sich selbst, an den eigenen Willen, die Kraft, Widerstände überwinden zu können, und seien sie noch so groß. 

Da ist die Diplomatin Tamar Eshel aus Israel (1920-2022), die Mitglied der Haganah war und die Auswanderung europäischer Juden nach Palästina organisierte. Später war sie u.a. im israelischen Außenministerium und der UN tätig, sie war Vorsitzende des Israel Council of Women's Organisations sowie der zionistischen Frauenorganisation Na'amat, sie war Mitglied der Knesset und Ehrenbürgerin Jerusalems. 

Da ist die Geschichtenerzählerin Haydée Arteaga Rojas aus Kuba (1915-2020), die sich schon früh für Solidarität und Gleichberechtigung einsetzte und zeitlebens eine Anhängerin eines freien Kubas und Fidel Castros. Ihre Arbeit als Schriftstellerin und Erzählerin war in Kuba hoch anerkannt und respektiert. 

Da ist die Yogalehrerin V. Nanammal aus Indien (1920-2019), die in 45 Jahren insgesamt eine Million Menschen Yoga beibrachte. 600 ihrer Schüler sind heute Yogalehrer in aller Welt. 2016 erhielt sie eine hohe zivile Auszeichnung und war in Indien sehr bekannt. 

Da ist die Schriftstellerin Ilse Helbich aus Österreich (1924-2024), die für den österreichischen Rundfunk Drehbüher und Radiobeiträge verfasste. Nach ihrer Scheidung von dem Rechtsanwalt und späteren Generalsekretär der österreichischen Industriellenvereinigung Franz Helbich (1924-2012), mit dem sie fünf Kinder hatte, im Jahr 1981 ging sie noch einmal ganz neue Wege. 

Da ist die Juristin, Soziologin und Schriftstellerin Nermin Abadan-Unat (geb. 1921) aus der Türkei, die viele Jahre an der Bogaziçi-Universität in Istanbul lehrte und einen großen Einfluss auf die Kommunikation in der Türkei hatte. Sie ist eine Anhängerin von Kemal Atatürk und engagiert sich bis heute für Demokratie und Frauenrechte. 

"Die Weltgeschichte wurde fast ausschließlich aus männlicher Sicht geschrieben. Als Filmemacher war ich jedoch schon immer daran interessiert, einen anderen Blickwinkel, eine neue Perspektive zu entwickeln", erklärt Regisseur Uli Gaulke im Presseheft zum Film. "So kam ich auf die Idee, die Weltgeschichte der letzten hundert Jahre aus der Sicht von hundertjährigen Frauen zu erzählen, die durch ihr Engagement einen Fußabdruck hinterlassen haben und die Gesellschaft, in der sie leben, in besonderer Weise geprägt haben und noch prägen."

Es sind bewegende und berührende Portraits von fünf Frauen, die auf ihre Art die Welt beeinflusst und geprägt haben – die wirksam waren in ihrem Umkreis. Wir, die wir noch nicht über 100 Jahre Lebenserfahrung verfügen, können davon viel lernen. Nur eine von ihnen – Nermin Abadan-Unat – ist noch am Leben, und so mutet es wie ein Geschenk an, dass dieser Film den anderen vier posthum ein Denkmal setzt. 

Ihr Jahrhundert. Frauen erzählen Geschichte. 
Buch, Regie, Schnitt: Uli Gaulke 

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Die Kraft der Stimmen

André Heller kuratiert eine Woche lang das Programm in der Hamburger Elbphilharmonie. Foto: Daniel Dittus
Hind Ennaira und ihre Musiker. Foto: Daniel Dittus
Hind Ennaira in Aktion! Foto: Daniel Dittus
Einer der jungen Musiker von Hind Ennaira hat eine besondere tänzerische Begabung. Foto: Daniel Dittus
Fareed Ayaz und Abu Muhammad mit ihren Musikern. Foto: Daniel Dittus
Mikrophone hätten diese Musiker eigentich gar nicht gebraucht - ihre Stimmen hätten den großen Saal der Elbphilharmonie auch alleine bis unters Dach erfüllt. Foto: Daniel Dittus
Die beiden Brüder sind Sufi-Meister und füllen mit ihrer Band ganze Stadien in Pakistan. Foto: Daniel Dittus
Nomen est omen: der Reflektor als Sinnbild für das künstlerische Programm. Foto: Daniel Dittus

Alljährlich stellt sich die Elbphilharmonie eine Woche lang ganz in den Dienst einer Künstlerin bzw. eines bestimmten Künstlers. Diese/r darf im Rahmen dieses "Reflektors" das Programm komplett selbst bestimmen. Dieses Jahr wird diese Ehre dem Wiener Allround-Künstler André Heller zuteil. Für diese sieben Tage hat er eine wahre Wundertüte an Vorstellungen zusammengestellt, von Filmen über Diskussionen bis zu in Hamburg noch nie gehörter Musik – wahrhaft eine "Woche des Staunens", wie die Elbphilharmonie schreibt. 

Den Auftakt bildete ein Konzert mit zwei Musikgruppen aus Nahost: die "Sufi-Night" mit spiritueller Musik aus Marokko und Pakistan. Um es vorwegzunehmen: Es war umwerfend. Umwerfend gut. Umwerfend begeisternd. Umwerfend bewegend. Teil 1 bestreitet Hind Ennaira mit ihrer sechsköpfigen Kombo "Black Koyo". Ihre klare Stimme, ihr rhythmisch betontes Spiel der Basslaute, Gimbri genannt, nehmen sofort mit. Die sechs Musiker bewegen sich im Rhythmus dieser Klänge und lassen mit wippenden Köpfen die Troddeln ihrer Kappen kreiseln. Anfangs in rot-schwarze Umhänge gekleidet, später in weiß-glitzernde lange Jacken schlagen die Musiker zum Gesang von Hind Ennaira und Hicham Bilali, der ebenfalls die Gimbri schlägt, überdimensionierte Metall-Kastagnetten. Hin und wieder springt einer der Musiker nach vorne und beginnt zu tanzen – besonders einer von ihnen, ein noch recht junger, vollführt akrobatische Sprünge, Flipflops und sogar einen Salto. Auch wenn man kein Wort versteht, so vermittelt sich doch das Anliegen: Es sind Lobpreisungen Allahs und der Propheten – und manchmal wünscht man sich, eine ähnliche Intensität und Begeisterung wäre in unseren christlichen Kirchen zu spüren. 

Noch gesteigert wird das in Teil 2 durch Fayeed Ayaz und Abu Muhammad, zwei Brüder aus Pakistan, und ihren acht Musikern. Sie spielen im Sitzen: zwei Trommeln, ein Keyboard, zwei Harmonien und Stimmen, die weit über die Elbphilharmonie hinaus zu hören wären, öffnete man die Türen. Und eigentlich versteht man nicht, dass hier überhaupt Mikros aufgebaut wurden – diese Stimmen sind so kraftvoll, so voluminös, dass sie dank der feinen Akustik des Großen Saals sicher auch für sich hätten stehen können. Und fast bedauert man dies, denn durch die Verstärkung werden sie fast schon zu laut, zu wenig differenzierbar. Nur dann, wenn einer der zehn großartigen Sänger alleine erklingt, spürt man, wie beseelt hier gesungen wird. Ganz besonders von den beiden schon betagten Brüdern, aber auch von einem noch ganz jungen Band-Mitglied, dessen glockenklare Stimme nur noch staunen lässt. 

Und so ist dieser Abend ein einziges Fest für die Kraft der Stimmen, eine "rhythmische Extase", wie die Elbphilarmonie den Abend im Programm übertitelt hat. Für die Kunst Marokkos und Pakistans, die wir so wenig kennen und so selten hören. 

Das Programm der ganzen Woche hält noch viele kleine und große Kostbarkeiten bereit – wohl dem, der noch eine Karte ergattert! 

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Hommage an eine mutige Frau

Das Filmplakat
Freiheit statt Disziplinierung: Maria Montessori (Jasmine Trinca) hat verstanden, welche Schätze in den Kindern verborgen sind. © Neue Visionen Filmverleih
Die Französin Lili d’Alengy (Leïla Bekhti) hat ihre behinderte Tochter jahrelang versteckt, muss dann aber Verantwortung für sie übernehmen und kann sie in Maria Montessoris Institut unterbringen. © Neue Visionen Filmverleih
Partner, Liebende, Konkurrenten: Marias (Jasmine Trinca) und Giuseppes (Raffaele Esposito) Beziehung hat viele Gesichter, bis er sich den Konventionen beugt und eine fügsamere Frau Maria vorzieht. Damit entzieht er ihr auch die Arbeitsgrundlage in dem gemeinsamen Institut, und Maria muss ihren eigenen Weg finden. © Neue Visionen Filmverleih
Ein schicksalhaftes Bündnis: Zwischen Maria Montessori (Jasmine Trinca) und Lily d’Alengy (Leïla Bekhti) entsteht eine Freundschaft auf Augenhöhe. Lily verschafft ihr Zugang zur wohlhabenden Gesellschaft und damit zu Geldgebern für ihr eigenes Institut. © Neue Visionen Filmverleih

Am 7. März kommt ein neuer Spielfilm über Maria Montessori (1870–1952) in die Kinos. Er zeichnet ein sehr anderes Bild von dieser mutigen Frau als Sabine Seichter jüngst in ihrem Buch "Der lange Schatten Maria Montessoris - Der Traum vom perfekten Kind", mit dem sie in den Medien große Aufmerksamkeit erhielt. Darin wird Maria Montessori bezichtigt, Kinder nach ihrer Vorstellung perfektionieren zu wollen, auch im Sinne von Rassentheorie und Eugenik. Es sei dahingestellt, was an diesen Beschuldigungen wahr ist oder nicht – ich kann und will das hier nicht weiter vertiefen. Interessant ist dazu jedoch ein Beitrag auf der Bildungsplattform "News4teachers", wo Heiner Barz die Aussachen Sabine Seichters als "höchst einseitig und über weite Strecken falsch zu gespitzt" kritisiert. 

Zurück zum Film. Dieser zeigt eine Frau, die für ihre Mission brennt, mit behinderten Kindern anders umzugehen, als das in dieser Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts üblich war. Damals hielt man sie für "Idioten" und sperrte sie in „Irrenanstalten“ weg, wo sie in heute unvorstellbarer Weise vor sich hin vegetieren mussten. Maria Montessori, eine der ersten Ärztinnen Italiens, steht dagegen für eine menschliche Pädagogik, die das Kind in seinem So-Sein respektiert, es genau beobachtet und in seinen Fähigkeiten gezielt mit verschiedenen Methoden fördert. 

Um ihrer Arbeit nachgehen zu können, gibt Maria sogar den eigenen Sohn Mario schon als Baby in die Obhut einer Bäuerin. Er entstammt einer nicht legalisierten Verbindung mit ihrem Arztkollegen Giuseppe Montesano, mit dem zusammen sie ein pädagogisches Lehrerbildungsinstitut leitet, wo behinderte Kinder betreut werden. Die Lorbeeren für die dort angewandte erfolgreiche Pädagogik, für die sich jedoch nur wenige aus der Wissenschaft interessieren und ungläubig auf die Erfolge starren, heimst in der patriarchalisch orientierten Gesellschaft aber natürlich der Mann ein, nicht sie. Obwohl Maria Giuseppe liebt und er sie, ist sie nicht bereit zu heiraten – sie möchte niemandem gehören und sieht in einer Ehe nur Fesseln für die eigene Weiterentwicklung. Das war damals durchaus berechtigt, denn der Mann hatte zu dieser Zeit die absolute Verfügungsgewalt über seine Ehefrau. Maria möchte sich dem nicht unterwerfen. Trotzdem versucht sie immer wieder, Giuseppe davon zu überzeugen, Mario zu sich zu nehmen und den gesellschaftlichen Zwängen die Stirn zu bieten. Dazu ist Giuseppe jedoch nicht bereit, und auch Marias Eltern stellen sich quer. So bleibt Mario bei der Bäuerin, und die Mutter wird ihm mehr und mehr entfremdet. 

In der französischen Maitresse Lily d’Alengy, die eine behinderte Tochter hat, die sie lange Zeit versteckt hielt, dann aber in Montessoris und Montesanos Institut unterbringen kann, findet Maria schließlich eine Verbündete. Lily erlebt an der eigenen Tochter die segensreichen Wirkungen der Montessori-Pädagogik und eröffnet ihr über ihre Verbindungen in wohlhabende Kreise die Möglichkeit, ihre Methoden unabhängig von Montesano anzuwenden und ein eigenes Institut zu gründen. Für Maria ist das die Rettung, denn Giuseppe hat ihr inzwischen kurzerhand die Beziehung aufgekündigt und sich mit einer anderen Frau verlobt, die gefügiger ist. Maria geht ihren eigenen Weg, und zu ihrer Freude kehrt Mario als junger Mann zu ihr zurück und arbeitet künftig mit ihr zusammen in ihrem Institut. 

Ein opulent gemachter Film mit großartigen Schauspielerinnen, der einen anderen, sehr menschlichen Blick auf diese bedeutende Frau eröffnet.

Maria Montessori
Drehbuch und Regie: Léa Todorov
Kamera: Sébastien Goepfert
Kostümbild: Agnès Noden
Schnitt: Esther Lowe
Produzenten: Grégoire Debailly, Carlo Cresto-Dina, Valeria Jamonte, Ilaria Malagutti, Manuela Melissano

Trailer auf YouTube

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